Dass Stadttauben früher einmal Haustiere der Menschen waren, ist wohl nur wenigen bewusst. Es sind also die Nachkommen unserer Haustiere, die von uns abhängig sind und die wir täglich in unseren Städten und Vororten sehen. Warum regen wir uns über sie auf, wenn wir sie doch „verursacht“ haben, und warum versuchen wir sie durch das Verhindern von Brutplätzen und des Niederlassens aus unseren Räumen zu verdrängen?
Der Mensch versucht gern dem auszuweichen, was er nicht sehen will. Seien es Tauben oder Obdachlose, die in Einkaufspassagen, unter Brücken oder in Vorstraßen Schutz suchen und ihr Leben weiterführen wollen, in welches sie oftmals systemische Hürden gezwungen haben. Die „Hostile Architecture“ (dt. Feindselige Architektur) – o.a. „Defensive Architektur“ – ist eine Form der Vertreibung dieser „Symptome“ aus dem öffentlichen Raum. Dies geschieht auf den ersten Blick unauffällig und wird oft als dekoratives Element wahrgenommen, was sie so gefährlich macht. Es werden Elemente der Stadtgestaltung so eingesetzt, dass das Verhalten der Obdachlosen in dem Maße eingeschränkt und gelenkt wird, dass sie bestimmte Orte ebenfalls nicht zu ihrem „Zuhause“ machen können. Das Design wird so eingesetzt, dass die physischen Verhaltensweisen eingeschränkt werden. Und es verwehrt zur Ruhe zu kommen oder einen Schlafplatz auf einer Parkbank einzurichten. Weitere Umsetzungen sind geneigte Fensterbänke, Bänken mit Armlehnen, Wassersprinkler und Mülleimer mit extra kleinen Öffnungen.
Our war on wildlife: now birds are not allowed in trees...?! Pigeon spikes spotted in Clifton, Bristol above a car park. Has anyone seen this before? How is it allowed?!
— Jennifer Garrett (@JMAGarrett) December 18, 2017
📷: thanks to Anna Francis pic.twitter.com/NuG9WvYBMj
Dekorativ geschwungene Bank, die Hinlegen erschwert. 20 Beispiele dafür, wie Städte das Problem des Biwakierens von Obdachlosen „gelöst“ haben bei Curioctopus (Bild: Curioctopus.de)
Parkbank mit Armlehnen, die Hinlegen unmöglich macht (Bild: The Ludlow Group)
Was sollte in der Zukunft passieren, um nicht nur die Symptome zu mildern?
Zunächst müssen Obdachlose als Teil der Gesellschaft gesehen werden, dem die Befriedigung von Bedürfnissen gewährleistet wird. Ihnen soll Schutz gegeben werden, anstatt nur allen anderen Schutz vor Belästigung zu geben. Auch kann es moralisch angezweifelt werden, die Obdachlosen zu verdrängen ohne ihnen ausreichend Ausweichmöglichkeiten zu geben. Praktische Möglichkeiten sind der Ausbau von sozialem Wohnraum, die Vereinfachung der Beantragung von sozialer Zusicherung, Ausweitung von Sozialarbeit und der Umsetzung öffentlicher freier Toiletten. Auch die schon existierenden Übernachtungsstellen machen es Obdachlosen oft zusätzlich schwer, indem z.B. ein Konto, Versicherungsnachweise und zu hohe Kosten verlangt werden, was unter gewissen Umständen nicht umzusetzen ist.
„Nicht mal das Mindeste“ – Disarstar hat ein politisches Video-Statement zum Thema Wohnungslosigkeit und Chancenungleichheit in Deutschland veröffentlich
Ist dir aufgefallen, dass immer das Wort Mensch für alle außer die Obdachlosen im Artikel verwendet wurde? Und wenn nicht, warum denkst du hast du es nicht bemerkt? Vielleicht geschieht der erste Schritt, alle als Teil der Gesellschaft zusehen und ihnen menschliche Bedürfnisse zu gewährleisten, bei jedem einzelnen im Kopf. So sollten wir eine Architektur und Stadtplanung in Städten anstreben, die nicht nur privilegierte Menschen schützt, sondern auch weniger privilegierten Menschen das Reinkommen der Gesellschaft nicht wie ein umgedrehtes Gefängnis verweigert.
Weiterführende Links zum Thema Hostile Architecture
- Woher kommt die Stadttaube – Ruhrpottmöwen e.V. (ruhrpottmoewen.de)
- NICHT MAL DAS MINDESTE – YouTube
- Disarstar: Dieser Rapper flext obdachlosenfeindliche Architektur weg | Zündfunk | Bayern 2 | Radio | BR.de
- The great debate: Is hostile architecture designing people out of cities? – CNN Style
- Armlehnen und Metallstacheln: Wenn Architektur feindlich wird – Kurt
- Obdachlosigkeit in Deutschland: Einfach kurz mal sein dürfen – Kolumne – DER SPIEGEL
- The great debate: Is hostile architecture designing people out of cities? – CNN Style
- Hostile architecture – Wikipedia
- Gitter, Dornen, Stacheln: Architektur, die sich gegen Obdachlose richtet – Architektur & Stadt – derStandard.at › Immobilien
- The Discussion On Hostile Architecture: A Public Service Or Infringement On Human Rights? (theludlowgroup.com)
- Feindselige Architektur: 20 Beispiele dafür, wie Städte das Problem des Biwakierens von Obdachlosen „gelöst“ haben – Curioctopus.de
- Briten installieren Anti-Vogel-Spikes auf Bäumen | nw.de
- Fotostrecke Anti-Obdachlosen-Architektur (fluter.de)
- Artist Creates Wearable Workarounds For “Hostile Architecture” (sadanduseless.com)