3 Fragen an… Carsten Hesse

3 Fragen an… Carsten Hesse

250317_3_Fragen_an_Carsten_Hesse_1920x1080_2a
In unserer Rubrik „3 Fragen an…“ befragen wir regelmäßig Expert*innen zu den Themen, die die Zukunft von Organisationen und Gesellschaft nachhaltig beeinflussen werden. Von Softwareentwicklung und Künstlicher Intelligenz über strategische Vorausschau und Zukunftshaltungen bis hin zu Nachhaltigkeit und den Umgang mit Zukunftsängsten – wir beleuchten die Trends und Entwicklungen, die uns helfen, zukunftsorientiert zu denken und zu handeln.
Heute sprechen wir mit Carsten Hesse. Er ist Geschäftsführer von Zukunft [X]. Carsten beschäftigt sich unter anderem mit der Transformation in Mitteldeutschland, eine Region, die binnen weniger Jahrzehnte derzeit eine zweite umfassende Veränderung durchläuft und sich Herausforderungen verschiedenster Art stellen muss.

Transformationen sind meist nicht eine technologische Frage, sondern vielmehr eine kulturelle Frage. Veränderungen muss man zulassen oder man kann sie auch ablehnen. Welchen Weg man geht, hängt davon ab, welche Erfahrungen man mit Veränderungen in der Vergangenheit gemacht hat, welche Einflüsse man von vorhergehenden Generationen mitbekommen hat und ob man eine Vorstellung davon hat, wo man überhaupt hinmöchte. Und schon alleine diese Vorstellungen sind das Ergebnis vieler externer Einflüsse und eigener Überlegungen. Als Sozialwissenschaftler sieht Carsten dies aus einem Blickwinkel, der die sozialen Interaktionen zwischen den Menschen in den Fokus rückt.

Warum sind Veränderungen eine Herausforderungen?

Carsten: Veränderungen sind eine besondere Herausforderung, weil sie auf Widerstände treffen. Das liegt vor allem daran, dass Veränderung nicht nur eine technische Frage ist, sondern vor allem eine kulturelle. Technologisch verfügen wir oft bereits über die Lösungen, doch die Akzeptanz und Umsetzung dieser Lösungen erfordert einen tiefgreifenden Wandel in Denkweisen und Gewohnheiten.

Viele Menschen sind nicht bereit, Veränderungen mitzugehen. Das hat auch damit zu tun, welche Erfahrungen sie in der Vergangenheit mit Veränderungen gemacht haben. Oftmals fühlen sich Menschen in der Welt, die sie sich über ihren Lebensweg aufgebaut haben, wohl und möchten diese vertraute Umgebung nicht aufgeben. Veränderungen bedeuten Unsicherheit und können das Gefühl von Sicherheit und Stabilität bedrohen.

Deshalb werden Veränderungen meist erst dann akzeptiert, wenn es irgendwo „drückt“ – wenn also ein spürbarer Druck vorhanden ist. Dabei ist es unerheblich, ob dieser Druck von außen, etwa durch äußere Umstände, oder von innen, also aus dem eigenen Erleben heraus, entsteht. Menschen neigen dazu, den für sie einfachsten Weg zu wählen, der mit der geringsten kognitiven Anstrengung verbunden ist. Veränderungen erfordern jedoch oft genau das Gegenteil: Anstrengung, Umdenken und das Verlassen gewohnter Pfade.

Aus all diesen Gründen stoßen Veränderungen häufig auf Widerstände, denn sie verlangen nicht nur technische Anpassungen, sondern vor allem eine kulturelle und persönliche Bereitschaft zur Transformation.

Wie nimmst Du Veränderungen in deiner Region Mitteldeutschland wahr, die die erste Transformation innerhalb der letzten Jahrzehnte durchmacht?

Carsten: In Mitteldeutschland erleben wir derzeit eine tiefgreifende Transformation, die uns vor immense Herausforderungen stellt. Unsere Wirtschaft muss sich aus ökologischen Gründen grundlegend verändern, gleichzeitig wirkt sich die demografische Entwicklung negativ auf die Struktur der Region aus. Die demografischen Daten prognostizieren starke Veränderungen, die eigentlich eine Anpassung und Transformation erforderlich machen. Dennoch ist die Akzeptanz für diese notwendigen Veränderungen in der Bevölkerung nicht immer gegeben.

Viele Menschen in der Region sind noch nicht so weit, diese Veränderungen anzunehmen, auch wenn sie unverzichtbar sind, um eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung zu ermöglichen. Entscheidend ist daher, eine sogenannte kritische Masse zu erreichen, bei der der Wandel von einer Minderheit zur Mehrheit getragen wird. In dem Artikel „The Pareto effect in tipping social networks: from minority to majority“ wird beschrieben, dass diese kritische Masse bei etwa 25 Prozent liegt. Ab diesem Punkt übernehmen immer mehr Menschen die neuen Verhaltensweisen und Einstellungen. Und das gilt auch für andere Formen der Organisation, beispielsweise auch für Unternehmen.

Um diesen Wandel in Mitteldeutschland zu beschleunigen, ist es wichtig, die Menschen gezielt zu vernetzen und die jeweiligen Zielgruppen direkt und nicht von oben herab anzusprechen. Nur so kann diese kritische Masse schneller erreicht und die Transformation erfolgreich gestaltet werden. Insgesamt zeigt sich, dass wir als Region zwar vor großen Herausforderungen stehen, aber mit einer bewussten und strategischen Herangehensweise die notwendigen Veränderungen schaffen können.

Woher kommen diese Widerstände gegen Veränderungen?

Carsten: Widerstände gegen Veränderungen haben tief verwurzelte Ursachen, die weit über die reine Gegenwart hinausgehen. Unsere Normen, Werte und Verhaltensweisen prägen uns maßgeblich und werden über Generationen hinweg tradiert – von unseren Eltern und sogar unseren Vorfahren. Ein faszinierendes Beispiel dafür ist der sogenannte Limes-Effekt: Obwohl der römische Limes vor mehr als 1000 Jahren bestand, beeinflusst er noch heute die Psyche der Menschen in den betroffenen Gebieten. Dort, wo die Vorfahren auf römischer Seite lebten und römische Strukturen etabliert waren, zeigen sich Menschen insgesamt zufriedener und gesünder.

Diese historischen und kulturellen Prägungen spielen eine wichtige Rolle, wenn es um Widerstände gegen Veränderungen geht. Es geht nicht nur darum, wo wir hinwollen, sondern auch darum, woher wir kommen und wie wir – ebenso wie unsere Eltern – mit vergangenen Veränderungen umgegangen sind. In unserer Region beispielsweise haben viele Menschen ihre Adoleszenz während der Wendezeit erlebt, eine Phase im Leben, in der junge Menschen normalerweise Orientierung durch ihre Eltern erhalten. Doch gerade diese Eltern waren während der Wende oft selbst orientierungslos, nicht präsent oder mussten sich erst neu zurechtfinden.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders spannend zu erforschen, wie diese Generation die aktuellen notwendigen Veränderungen wahrnimmt. Ebenso wichtig ist es herauszufinden, welche Strukturen und Maßnahmen erforderlich sind, um den Wandel für alle Beteiligten zu einem positiven und tragfähigen Erlebnis zu machen. Nur wenn wir diese tief verwurzelten Einflüsse verstehen, können wir Widerstände überwinden und Zukunft erfolgreich gestalten.

Vielen Dank an Carsten für die aufschlussreichen Gedanken!

Schaltzeit
Das Schaltzeit-Team ist international und in allen Altersgruppen vertreten. Wir erzeugen Reibung – auch untereinander. Was uns vereint ist die Leidenschaft, inhaltlich zu arbeiten. Das Buzzwording überlassen wir gern anderen.
jetzt abonnieren
Neues aus der Schaltzentrale
Melde Dich jetzt an, um regelmäßig Updates direkt in Dein Postfach zu erhalten. Alles in einem angemessenen Versandintervall, das Deine Zeit und Aufmerksamkeit respektiert.
Nach oben scrollen