Das vorhersehbare Invasions-Kriegs-Dilemma

Das vorhersehbare Invasions-Kriegs-Dilemma

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Es herrscht Krieg in der Ukraine. Ein Krieg, der unberechenbar erscheint und vorhersehbar war. Wir haben trotz unserer Foresight-Fähigkeiten unsere Augen verschlossen. Niemand kennt die tieferen Absichten des lügenden Aggressors Wladimir Wladimirowitsch Putin.

Statt in Szenarien zu denken und unseren Handlungsspielraum auszuloten haben wir auf das „Prinzip Hoffnung“ gesetzt, „es wird schon nicht eskalieren“. Unser Dilemma: Auf der einen Seite wollen wir die Situation deeskalieren, aber jede Hilfe, die wir der Ukraine anbieten wird in gleicher Weise als eine Provokation Putins interpretiert werden.

Selbst wir in Deutschland wurden mit der Tatsache konfrontiert, dass wir auf einen Kriegsfall nicht vorbereitet sind. Unsere Ausrüstung ist veraltet, die Wehrpflicht ist abgeschafft, an Erste-Hilfe-Kursen wird meist nur zur Führerscheinprüfung teilgenommen. Ein klarer Krisen- und Notfallplan ist nicht bekannt.

Die Crux daran ist unsere Energieabhängigkeit, zudem haben wir Teile unserer Notinfrastruktur verkauft. Ein Drittel unserer Gasspeicher gehören der GAZPROM-Tochter Astora. Ein Artikel der Deutschen Welle zeigt auf, dass Gasspeicher systematisch entleert wurden, um den Gaspreis zu steigern. Durch hohe Gasrechnungen unterstützen wir Russland aktuell finanziell stark. Genau genommen: Deutschland finanziert diesen Krieg! Daher ist die unbequeme Wahrheit auch, dass wir eine stärkere Resilienz benötigen. Wir müssen allerdings auch größenwahnsinnige Aggressoren wie beispielsweise Russlands Putin viel mehr zum Einlenken bewegen.

Dazu gehört es auch die unangenehmen Dinge endlich anzusprechen. Während in Russland Alexei Nawalny in 12 Tweets zu einem Protest für den Frieden ruft, sollten auch wir Handlungsspielräume diskutieren und entschieden handeln.

Dabei muss uns bewusst sein, dass eine klare Position und deren Konsequenzen uns die eigene Comfortzone kosten wird. Was hat Europa zu bieten? Wofür stehen wir ein? Was sind wir bereit in Kauf zu nehmen?

„Everything has a price, and now, in the spring of 2022, we must pay this price. There‘s no one to do it for us. Let’s not ‘be against the war.’ Let’s fight against the war.“ – Alexei Nawalny

Dabei muss der Aggressor Putin beim Namen genannt werden. Es ist Putins Krieg. Viele Russen haben erkannt, dass Putin versucht von den eigentlichen Problemen im Land abzulenken, ein gemeinsames Feindbild schafft und so eine trügerische Einigkeit herbeiführen will — als Mittel gegen die inneren Schwierigkeiten, Unstimmigkeiten, Konflikte und Baustellen — die alte und primitive Taktik einer Bedrohung von außen als Betäubung der eigenen inneren Schwierigkeiten, Probleme, Krisen und Bedrohungen.

Wollen wir dieses Feindbild bedienen? Wollen wir Putin in die Karten spielen und uns offensiv gegen Russland wenden? Was können wir tun, um die Menschen aus der Ukraine und Russland zu unterstützen? Was muss geschehen, um Putins Rückhalt zu schwächen? Welche Mittel haben wir diesen Krieg zu beenden? Was können wir tun, dass die Sinnlosigkeit dieser Invasion erkannt wird und das Morden Unschuldiger aufhört?

Welche Schritte sind wir bereit in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und auch auf kleiner Ebene der eigenen täglichen Comfortzonen zu gehen?

Werden wir zu Gastgeberinnen und Gastgebern, die teilen, aufnehmen und unterstützen? Sorgen wir dafür, dass wir die russische Kultur als auch die ukrainische Kultur feiern und fördern? Reflektieren wir, wie wir in Putins Position wirtschaftlich und politisch verstrickt sind?

Sorgen wir dafür, dass unsere Infrastruktur solider wird, um für humanitäre Katastrophen anderer Länder gewappnet zu sein? Werden wir bereit sein, für den Frieden eigene Opfer zu bringen? Werden wir die eigene Wehrertüchtigkeit Deutschlands und Europas mehr fördern? Werden wir uns vom Gas entkoppeln und unsere Energiegewinnung diversifizieren? Werden wir sicherstellen, dass wir nicht die RussInnen als Volk, sondern immer die Aggressoren im Blick haben?

Wenn wir Kants Werk „Zum ewigen Frieden“ betrachten, nennt er folgende Punkte als Grundlage für den Frieden:

1. „Es soll kein Friedensschluss für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.“

2. „Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von einem anderen Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.“

3. „Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.“

4. „Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden.“

5. „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.“

6. „Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als da sind, Anstellung der Meuchelmörder (percussores), Giftmischer (venefici), Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verrats (perduellio) in dem bekriegten Staat etc.“

Wenn wir „Zum ewigen Frieden“ auf uns übertragen, könnten wir es so interpretieren: Wir können keinen Frieden akzeptieren, der nicht den Kriegsgrund beseitigt und auf Erpressung beruht. Wir EuropäerInnen sollten keine Abhängigkeiten schaffen und fördern. Das bedeutet auch, dass Waffen und Verteidigungsinstrumente geschenkt und nicht vorfinanziert werden sollten. Einmischungen in Russland selbst mit dem Versuch Putin heimtückisch zu stürzen ist keine nachhaltige Lösung. Vertrauen wir auf die inneren Impulse der sich gegen den Krieg (und Putin) aussprechenden russischen Bevölkerung, auf die Macht der Diplomatie und auf die Werte, für die wir stehen — das dauert, aber es wirkt langfristiger!

Welche Handlungsimplikationen ergeben sich jetzt daraus für Deutschland und seine BürgerInnen?

Du kannst:

1. Dich informieren, wo Sachspenden gesammelt werden, welche Güter angenommen werden und diese (sortiert!) beisteuern

2. Plattfomen nutzen, um private Unterküfte anzubieten, falls möglich

3. Eine eigene Position zu verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Handlungsoptionen entwickeln (Flugverbotszone, Waffenlieferungen, Energiepolitik,…)

4. Demonstrieren, Diskutieren und (verlässliche) Informationen teilen

5. Dich selbst besser für Notfälle vorbereiten (und trotzdem keine Hamsterkäufe anstreben, bitte!)

6. Nicht die Zuversicht verlieren, auf eigene Resilienz achten und auch weiterhin das Leben feiern

Wir können/die Gesellschaft kann:

1. Gastgeber und sicherer Hafen sein für all die Menschen auf der Flucht

2. Diplomatie niemals aufgeben

3. Gewalt und Terror in jedem Fall zu verhindern suchen

4. Finanzhähne zudrehen — auch wenn wir dafür unser Energiesystem radikal umbauen müssen

5. die Kosten für die Friedenswahrung tragen

6. Russland und die Ukraine samt Ihrer BürgerInnen nicht aufgeben

7. RussInnen neutrale Informationen bereitstellen, unabhängigen Journalismus fördern, Perspektiven aufzeigen

Lassen Sie uns nicht zu einer Nation von verängstigten Nachbarn werden, die von dem Elend entsetzt sind, es aber nicht zu verhindern suchen.

Wir haben im Team diskutiert, wie wir uns einbringen können.

Klar war, dass wir sowohl den geflüchteten Menschen aus der Ukraine als auch humanitäre Einrichtungen bei ihrer Arbeit mit Geld- und Sachspenden unterstützen wollen. Unsere ausgewählten Herzensprojekte wurden:

Ärzte ohne Grenzen: Unterstützung von Krankenhäusern, um Schulungen in Notfallmedizin und für chirurgische Notfallbehandlungen anzubieten; Lieferung medizinischer Hilfsgüter; Gewährleistung der medizinischen Versorgung der Menschen — https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/einsatzlaender/ukraine

Save the Children: Helfen im Grenzgebiet in Flüchtlingscamps und unterstützen ankommende Familien nach Kräften; Kinder und ihre Mütter erhalten von ihnen zum Beispiel Spielzeug, Hygienesets, Windeln und Schutzmasken — https://www.savethechildren.de/unterstuetzen/nothilfe/spenden-ukraine/?gclid=Cj0KCQiA64GRBhCZARIsAHOLriI7iPcaRw2ZOSZG4uDxDj-K9MuCDgjUhXFQcq7lNK643cEjU0Ph8wAaApHWEALw_wcB

Welthungerhilfe: Nothilfe Ostafrika — da der Krieg dramatischen Folgen für einige Länder in Ostafrika und dem Nahen Osten haben könnte, da die Getreideversorgung fast ausschließlich auf Importe aus Russland und der Ukraine ausgerichtet ist –https://www.welthungerhilfe.de/spenden/

Reporter ohne Grenzen: Verteidigung des Menschenrechts auf freie Meinungsäußerung — https://www.reporter-ohne-grenzen.de/russland

Zudem fördern unsere Mitarbeiter die Bereitstellung von privaten Notunterkünften. Macht mit und registriert euch unter Unterkunft Ukraine (unterkunft-ukraine.de).

Wir ermuntern jeden, etwas für den Frieden zu tun. Egal ob durch Zeit, Lebensenergie oder Ressourcen — Bring Dich ein und bewahre uns den Frieden.

André Winzer
Formeller Kopf, aber im Allgemeinen lieber kopflos, stürzt er sich in neue Herausforderungen. Der Schalter steht bei ihm auf Haupt, der Aktionsradius gern auf Simultan. Er analysiert & interpretiert leidenschaftlich Geschäftsmodelle. In Workshops als auch Vorträgen geht es dabei rund um das Thema „Preparing for Tomorrow“. Dabei zeigt er gern, dass Geschäftsmodelle auch leicht auf andere Branchen übertragbar sind.
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