Debating Spaceship – Gespaltene Debattenkultur

Debating Spaceship – Gespaltene Debattenkultur

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Ein Raumschiff, auf dem letztendlich alle irgendwie zusammenarbeiten müssen, um eine Zukunft zu haben – vielleicht auch eine passende Metapher für unsere Demokratie in Deutschland? Schließlich müssen wir in der Vielfalt unserer Meinungen zumindest so weit konsensfähig sein, dass wir die zentralen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam sinnvoll angehen können.
Wie steht es um die Konsensfähigkeit unserer Crew an Demokrat*innen? Schaut man sich unsere aktuellen Debatten an, wirkt es mitunter eher, als bestünde die attraktivste Strategie einiger lautstarker Crewmitglieder darin, Zuspruch für emotionale Schuldzuweisungen zu ernten, anstatt differenziert die Baustellen unseres Raumschiffs anzugehen – nicht gerade der sicherste Kurs inmitten einer chaotischen undurchsichtigen Multi-Krisen-Galaxy.

Lager: Welche verfeindeten Lager spalten die Crew?

Zerbricht die Gesellschaft Deutschlands im Zeitalter der Polykrisen an den zu großen, polarisierenden Herausforderungen? Sorgen hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenhalts sind in der Bevölkerung weit verbreitet3 und immer öfter hört man die Diagnose, unsere Gesellschaft sei gespalten4. Aber welche Lager genau stehen sich eigentlich so erbittert gegenüber? Wo verlaufen die Fronten? Gibt es überhaupt klar erkennbare gesellschaftliche Großgruppen, die sich bei zentralen Konfliktthemen spinnefeind sind und unsere Gesellschaft zerreißen?
Über die Zeit hinweg hat die Sozialforschung verschiedene Modelle entwickelt, um derartige Fragen zu untersuchen. Für eine etwas differenziertere Betrachtung als „links-rechts“ wurde in den 90ern beispielsweise das GAL-TAN Modell diskutiert. Demnach konnten die Konfliktlinien der Gesellschaft anhand der zwei Seiten „TAN“ (Traditionalistisch-Autoritär-Nationalistisch) und „GAL“ (Grün-Alternativ-Liberal) analysiert werden.5

Dem liegt jedoch die Frage zugrunde, ob Haltungen zu verschiedenen Konfliktthemen immer im „Paket“ kommen und damit soziostrukturelle Großgruppen vereinen – nach dem Motto: Wer migrationsoffen ist und gendert, engagiert sich vermutlich auch für Nachhaltigkeitsthemen und Verteilungsfragen. Und umgekehrt: Wer mit Gendern ein Problem hat, ist bestimmt auch Wohlstandschauvinist und von Ressentiments gegen Migranten*innen besessen. Es gibt viele Alltagsklischees, die Gruppen mit derartigen Meinungsbündeln beschreiben, vom „abgehobenen Großstadt Hipster“ bis zum „konservativen Landei“. Jedoch lassen sich derartige schematische Lagerbildungen in Studien kaum nachweisen, wie das Soziologen Trio Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser in ihrem Buch „Triggerpunkte“6 erklärt: „Die These, dass wir es mit derartigen Gesinnungsklassen zu tun hätten, die nicht nur an den Rändern auffindbar sind, sondern durch die Gesellschaft als Ganzes schneiden, decken frühere Studien bereits als überzogen auf. Einzelne Meinungen sind viel loser verknüpft als in der Zwei-Welten Theorie.“ Beispielsweise gäbe es kaum Anzeichen für tatsächliche Stadt-Land-Konflikte oder ein Gegeneinander zwischen Generationen.

In einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung wird deutlich, dass in unserer Gesellschaft nach wie vor moderate Positionen überwiegen und eine Lagerbildung, wie sie oft in Polarisierungsthesen behauptet wird, empirisch nicht belegt werden kann7. Selbstverständlich bestehen Konflikte, doch diese spiegeln sich nicht in einer klaren ideologischen Trennung klar abgegrenzter Gruppen wider.

Ungleichheiten: In welche Konfliktgalaxien sind wir unterwegs?

Eine Analyse der Konfliktlandschaft unserer Gesellschaft ist also deutlich komplizierter, als nur idealtypische Lager gegeneinander zu stellen. Statt nach Menschengruppen zu clustern, suchen Mau und seine Kollegen deshalb nach Streit auslösenden Themenclustern: „Die entscheidende theoretische Volte ist dabei, Konflikte nicht schon methodisch auf den gesamtgesellschaftlichen Antagonismus zweier vermeidlicher Großgruppen herunterzubrechen. Stattdessen rekonstruieren wir Einstellungslagerungen, soziale Verankerungen und zeitliche Bewegungstendenzen in verschiedenen Konfliktarenen“.6
Sie konzentrieren sich dabei auf Streitthemen, bei denen die Veränderung von Ungleichheiten verhandelt wird – seien es materielle Verhältnisse, rechtliche Rahmungen oder kulturelle Ungleichheiten durch Wert- oder Geringschätzung.

Spannend dabei ist, welche Ungleichheiten zu Konflikten werden. Denn längst nicht alle bestehenden Ungleichheiten werden zu Konflikten, viele werden auch einfach als ‘normal’ empfunden und nicht groß thematisiert. Ungleichheiten können in Form von Legitimation oder Kritik thematisiert werden. Und ein Konflikt entsteht demnach dann, wenn Kritik und Legitimation von Ungleichheit aufeinanderprallen.

Dabei wurden folgende Ungleichheitsarenen analysiert:

Oben – Unten Ungleichheit: Sozioökonomische Verteilungskonflikte

Innen – Außen Ungleichheit: Migration, Territoriale Zugänge, Inklusion Integration

Wir – Sie Ungleichheiten: Identitätspolitische Anerkennungskonflikte

Heute – Morgen Ungleichheiten: Umweltpolitische Auseinandersetzung

Oben – Unten Ungleichheit

Sozioökonomische Konflikt-Galaxy

Innen – Außen Ungleichheit

Zugangs-Konflikt-Galaxy

Wir – Sie Ungleichheiten

Identitätspolitische Konflikt-Galaxy

Heute – Morgen Ungleichheiten

Umweltpolitische Konflikt Galaxy
Das überraschende dabei ist: Das Bild der gespaltenen Gesellschaft trifft nicht zu. Wir sind uns in vielen Grundfragen zu diesen Ungleichheiten eigentlich erstaunlich einig.
Die Studie der Konrad Adenauer Stiftung zeigt, dass selbst in hitzig diskutierten Ungleichheitsfragen bei Sozial-, Klima- und Migrationspolitik die Mehrheit der Bevölkerung Mittelpositionen einnimmt, nur eine Minderheit vertritt konsequente Randpositionen. Auch die politischen Ansichten der Parteianhängerschaften zeigen erhebliche Überschneidungen, sodass keine klar abgrenzbaren Lager zwischen den Parteien sichtbar sind. Über die Zeit verschieben sich Positionen zwar, jedoch vollziehen sich die Meinungsverschiebungen eher in eine Richtung, ohne dass sich die Abstände zwischen den Positionen der Parteianhänger*innen langfristig vergrößern7.
Wer hätte das erwartet. Woher kommt dann der ganze Krawall auf dem Raumschiff, wenn sich doch eigentlich die Mehrheit der Crew gar nicht so uneins ist?

Trigger-Themen: Welche Meteoriten sorgen für Turbulenzen?

Woher kommt der hitzige, nicht enden wollende Streit? Wann und wo wird aus unserem Konsens Dissens? Eine Erklärung liegt in den sog. „Triggerpunkten“. Damit sind emotional aufgeladene einzelne Aspekte gemeint, „Detailfragen, an denen ein ansonsten vorhandener Grundkonsens zerbricht“. Es gibt also innerhalb der Ungleichheitsarenen kleine Themen, die ein derart großes Erregungspotenzial haben, dass sie mit ihrem lauten Streit über den eigentlich vorhandenen Grundkonsens hinwegtäuschen. Fazit des Soziologen Trios ist, dass die tatsächlichen Konfliktlinien unserer Gesellschaft nicht an Grundfragen verlaufen, sondern eher entlang Detailfragen – diese werden allerdings umso lauter und emotionaler verhandelt6. Mitunter so laut und emotional, dass wir durch den nicht enden wollenden Streit den Eindruck bekommen, alles würde auseinanderbrechen.

Hier kommen die sog. „Polarisierungsunternehmer“6 ins Spiel. Damit werden Akteure beschrieben, die mit einer spaltenden Absicht Triggerthemen in (eigentlich konsensfähigen) Debatten groß machen. Damit fördern sie bewusst durch polarisierende Narrative das Denken in Gegensätzen – mit dem Ziel aus dem provozierten Aufruhr politisches Kapital zu schlagen. Vielleicht sind also weniger die komplexen Themen das Problem unserer Demokratie, sondern viel mehr die Art und Weise, wie wir über sie reden?

Debattenkultur: Ein Plädoyer für die Konsenssuche an Bord

Die Debattenkultur ist ausschlaggebend für den Erfolg oder Niedergang einer Demokratie. Wenn demokratische Prozesse zunehmend mit endlosen Streitereien ohne Ergebnisse assoziiert werden, droht unser Raumschiff gegen die Wand zu fahren. Auch Julia Reuschenbach und Korbinian Frenzel warnen in ihrem Buch „Defekte Debatten – Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ vor den Gefahren für unsere Demokratie, die aus einer desolaten Debattenkultur resultieren. Sie beobachten, dass sich die Diskurshaltung einiger am besten mit „dem ausgestreckten Mittelfinger“ beschreiben lässt: Anstatt sich differenziert auf die Bearbeitung komplexer Herausforderungen einzulassen, ist es attraktiver eine prinzipielle „Dagegen-Haltung“ einzunehmen. So hat sich der politische Aschermittwoch mancherorts auf das gesamte Jahr ausgebreitet – mit fatalen Folgen für uns alle4. Denn mit dieser Form der Kommunikation und Zusammenarbeit lösen wir keine Probleme, sondern schaffen neue.
Zurück zu unserer Raumschiff-Metapher: Wenn wir mit unserer Demokratie nicht von einem schwarzen Loch der destruktiven Polarisierung verschluckt werden wollen, lohnt es sich also gesundes Debattieren wieder mehr zu üben. Das können wir einerseits von zentralen Akteuren einfordern, und es andererseits auch selbst zu beherzigen: Wenn wir in unserem Umfeld triggernden politischen Meinungen begegnen – falls wir überhaupt noch den Kontakt zu Crewmitgliedern pflegen, deren politischen Einstellungen wir skeptisch gegenüberstehen?
Die gute Nachricht dabei: Unsere Crew ist (noch) nicht derart in verfeindete Lager gespalten, wie es an Bord vielleicht wirkt. Die schlechte Nachricht: Diese Erkenntnis reicht leider nicht aus, um sich jetzt entspannt zurückzulehnen und auf Autopiloten zu schalten. Denn die kommunikative Spaltung einiger weniger lautstarker Möchtegern-Captains birgt die Gefahr, zu einer tatsächlichen Spaltung der gesamten Crew zu führen, die eine Bruchlandung unseres Raumschiffs zur Folge hätte. Ohne bessere Debattenkultur hilft uns auch ein möglicherweise vorhandener Grundkonsens nicht weiter.

Die Suche nach Konsens innerhalb der Crew zu komplexen Fragen mag anstrengender sein, als sich simplen, schuldzuweisenden Spaltungsnarrativen hinzugeben. Dennoch ist sie der deutlich vielversprechendere Kurs durch die chaotischen Galaxien unserer Zeit. Warum also nicht den leise vorhandenen Grundkonsens als Startrampe für konstruktive Debatten nutzen, statt nur auf Trennendes zu schauen – echte Dialoge beginnen dort, wo wir uns auf das Gemeinsame besinnen und die schwierigen Themen mit kühlem Kopf und warmen Herzen angehen.

Hals- und Beinbruch!
PS: Die Metapher mag nicht perfekt sein, da Deutschland selbstverständlich nicht allein im luftleeren Raum schwebt. Vielleicht veranschaulicht sie dennoch ganz gut, wie sehr wir auf ein funktionierendes Miteinander angewiesen sind und akzeptieren müssen, dass wir in einer Demokratie nur gemeinsam als Gesellschaft durch Krisen kommen – so anstrengend & unbequem es auch ist.

Einige spannende Impulse zum Thema Debattenkultur gibt es hier: Debattenkultur

  1. Boulding, K. E. (1966). The economics of the coming spaceship earth. In H. Jarrett (Ed.), Environmental quality in a growing economy (pp. 3–14). Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press.
  2. Fuller, R. B. (1969). Operating manual for spaceship earth. New York, NY: Simon and Schuster.
  3. Boehnke, K., Dragolov, G., Arant, R., & Unzicker, K. (2024). Gesellschaftlicher Zusammenhalt 2023: Studie und Ergebnisse. Gütersloh, Deutschland: Bertelsmann Stiftung. Abgerufen von https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Gesellschaftlicher_Zusammenhalt/Gesellschaftlicher_Zusammenhalt_2023/2024_Studie_Gesellschaftlicher-Zusammenhalt-2023.pdf
  4. Reuschenbach, J., & Frenzel, K. (2024). Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen. Berlin, Deutschland: Suhrkamp Verlag.
  5. Wurthmann, L. C. (o. D.). Werte und Wertewandel. Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 1. Dezember 2024, von https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202212/werte-und-wertewandel/
  6. Mau, S., Lux, T., & Westheuser, L. (2023). Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaf: Warum Gendersternchen und Lastenfahrräder so viele Menschen triggern. Berlin, Deutschland: Suhrkamp Verlag.
  7. Roose, J. (2021). Politische Polarisierung: Gesellschaftliche Trennlinien und ihre Auswirkungen auf Demokratie und Zusammenhalt in Deutschland. Berlin, Deutschland: Konrad-Adenauer-Stiftung. Abgerufen von https://www.kas.de/documents/252038/11055681/Studie+Politische+Polarisierung.pdf/a36c964d-1d6a-66d1-288b-b22629110fd7

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Magdalena Soetebeer
Magdalena ist gelernte Kommunikationsdesignerin und bei Schaltzeit im Bereich Kommunikation und Futures Literacy tätig. Ihre Erfahrungen in Gebieten der Zukunftsforschung, Design Thinking sowie Workshopkonzeption und -moderation lässt sie verschiedenen Methoden einfließen, um in partizipativen Prozessen bestmögliche Grundlagen für Ideationsprozesse zu erarbeiten.
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