3 Fragen an… Sarah Biendarra

3 Fragen an… Sarah Biendarra

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In unserer Rubrik „3 Fragen an…“ befragen wir regelmäßig Expert*innen zu den Themen, die die Zukunft von Organisationen und Gesellschaft nachhaltig beeinflussen werden. Von Softwareentwicklung und Künstlicher Intelligenz über strategische Vorausschau und Zukunftshaltungen bis hin zu Nachhaltigkeit und den Umgang mit Zukunftsängsten – wir beleuchten die Trends und Entwicklungen, die uns helfen, zukunftsorientiert zu denken und zu handeln.
Sarah Biendarra ist People & Culture Managerin in der Digitalagentur comspace und Zukünfte-Erforscherin. Auf ihrem Blog utopiegestalten.de beschäftigt sie sich mit wünschenswerten Zukünften und den vielfältigen Wegen, diese zu gestalten, z.B. in Unternehmen und der Gesellschaft. Im Gespräch mit Schaltzeit erklärt sie, warum Utopien immer so inklusiv wie möglich sein sollten und wie eine zeitgemäße Arbeitskultur konkret aussehen kann.

Warum gibt es Deinen Blog utopiegestalten.de und wie gestaltest Du selbst Utopien, zum Beispiel zur Arbeitskultur von morgen?

Sarah: Zu der Idee meine Gedanken in einem Blog zu bündeln kam ich ursprünglich aus einer Frustration heraus, die sich über Monate aufgebaut hatte: Nachrichtenmüdigkeit, polarisierende, dystopische Gesellschaftsdebatten, einseitige Technologiegläubigkeit, wenig konstruktive Narrative – dagegen wollte ich etwas tun. Über das Buch “Zukunft: Eine Bedienungsanleitung” von Florence Gaub kam ich zur Zukünfteforschung. Mein Ziel mit diesem Blogprojekt ist es, meine persönliche Lernreise zu Zukünften und Utopien festzuhalten und darüber andere Menschen für dieses Thema zu inspirieren, Zuversicht zu vermitteln und die eigene Handlungsfähigkeit wieder in den Vordergrund zu rücken.

„Utopien” sind dabei für mich wünschenswerte Zukünfte, denen wir Gestalt geben können. In Bezug auf Arbeit heißt das zum Beispiel: Flexibilität ermöglichen. Wenn Menschen ihre Wochenarbeitszeit und ihren Arbeitstag flexibel gestalten können, lässt sich Arbeit besser an unterschiedliche Lebensphasen anpassen – sei es für Familie, Hobbies oder ehrenamtliches, gesellschaftliches Engagement. Bei meinem Arbeitgeber comspace leben wir das durch unser ‚Work from Anywhere‘-Konzept: Unsere Mitarbeitenden können deutschlandweit und im Rahmen von Workations auch europa- oder weltweit arbeiten.

Ein anderes Beispiel ist Selbstwirksamkeit. Arbeit gelingt uns, wenn wir unsere Stärken einsetzen und ausbauen können. Wenn wir Wertschätzung erfahren und selbstbestimmt agieren können. Dieses Streben nach Autonomie und persönlichem oder fachlichen Wachstum ist dabei eine wichtige Komponente für die Zukunft der Arbeit. Bei uns ermöglichen wir dies z.B. mit einem hohen Grad an Selbstorganisation bei der Arbeitsgestaltung.

Außerdem zählt für mich zu einer wünschenswerten Arbeitskultur, dass Unternehmen Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Wir tun das unter anderem mit unserer Initiative #WirFürDemokratie, mit der wir uns seit zwei Jahren für demokratische Werte im Arbeitsalltag einsetzen.

Was ist für Dich eine zeitgemäße Arbeitskultur und wie gestalten wir sie gemeinschaftlich?

Sarah: Unter einer zeitgemäßen Arbeitskultur verstehe ich Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dass Arbeiten sich dem Leben bestmöglich anpasst, Selbstwirksamkeit ermöglicht und gesellschaftliche Verantwortung wertgeschätzt wird.

„Gemeinschaftlich“ ist für mich bei der Gestaltung das entscheidende Wort. Unternehmen und ihre Mitarbeitenden sind vielfältig – und genauso vielfältig sollten auch die Ansätze für gutes, zeitgemäßes Arbeiten sein. Hilfreich sind Impulse von außen, etwa durch Best Practices oder Inspirationen aus anderen Organisationen. Aber die eigentliche Magie entsteht im gemeinsamen Austausch: wenn Bedürfnisse gehört werden, Erwartungen ausgesprochen werden dürfen und unternehmerische Rahmenbedingungen mit einfließen. Dann wird es möglich, Lösungen im Miteinander zu entwickeln und auszuprobieren.

Konkret bedeutet das zum Beispiel, Räume für Austausch zu schaffen, damit relevante Themen aufkommen und bearbeitet werden können.Wir machen das beispielsweise, indem wir regelmäßig interne Open Spaces veranstalten, deren Agenda durch die Kolleg*innen selbst gestaltet wird.

Warum dürfen Utopien keine Dystopien für andere Menschen enthalten?

Sarah:„Utopien sollten die Komplexität unserer Welt anerkennen und möglichst viele unterschiedliche Perspektiven einbeziehen. Deshalb ist für mich eine wichtigeFrage: Wen übersehe ich gerade in meinem Zukunftsentwurf? Wer würde durch diese Idee benachteiligt?

Utopien sind immer auch ein Spiegel ihrer Zeit – das sieht man schon bei Thomas Morus: In seiner berühmten Utopia gab es selbstverständlich Sklaverei, was aus heutiger Sicht undenkbar ist.

Wenn wir Zukünfte gestalten, sollten wir uns daher bemühen, so wenige blinde Flecken wie möglich zu haben. Das gelingt vor allem, wenn wir den Diskurs über Zukünfte demokratisieren.

Arbeit, die uns stärkt – nicht erschöpft. Aber für wen eigentlich?

Ein Beispiel: In einer wünschenswerten Version der Zukunft – nennen wir sie die Wirksame Arbeitsgesellschaft 2040 – gestalten wir Arbeit neu: als etwas, das zum Leben passt. Flexibel, stärkenorientiert, gesund. Menschen arbeiten dort, wo sie aufblühen – auch mal am Meer, in den Bergen oder im Kulturort ihrer Wahl. Sie nehmen sich Auszeiten, wenn Körper oder Seele es brauchen. Was sie tun, stärkt ihre Stärken und ist gesellschaftlich wertvoll – sichtbar, anerkannt, fair bezahlt. Ich mag diese Vision sehr. Aber ich weiß auch: Diese Utopie hat blinde Flecken, die wir im Prozess mit beleuchten müssen!

  • Wer sind die Privilegierten in dieser Vision? Hier vermutlich gut ausgebildete Wissensarbeitende mit Zugangsmöglichkeiten zu remote Arbeit.
  • Wen lässt diese Vision außer Acht? Zum Beispiel Menschen im Niedriglohnsektor oder in Care-Berufen (Erziehung, Pflege).

Eine wichtige Frage ist nun: Wie könnte für diese Menschen eine wünschenswerte Zukunft der Arbeit aussehen und wie gestalten wir diese, damit im Schatten der Wissensarbeits-Utopie nicht eine Dystopie entsteht, die diese Menschen ausschließt oder benachteiligt?

Zum Beispiel:

  • Die Debatte über Zukünfte der Arbeit inklusiver gestalten – durch niedrigschwellige Information, unternehmensinterne Mitbestimmungsformen und Beteiligungsangebote, über möglichst viele Berufe und Branchen hinweg.
  • Möglichst viele und vor allem systemrelevante Berufe fair teilhaben lassen – mit strukturellem Zugang zu fairer Vergütung, Flexibilität, Entwicklungsmöglichkeiten und Mitbestimmung und Flexibilität kollektiv absichern – über Arbeitnehmervertretungen, unternehmensinterne Beteiligungsformate, Bürger*innenräte, flexible Arbeitszeitregelungen und -konten.   

Zukunft darf kein Elitenprojekt sein – sie sollte inklusiv, vielfältig und zugänglich für alle gedacht werden. Unser zentrales Anliegen sollte daher sein, die Zukunft der Arbeit so zu gestalten, dass sie niemanden dominiert oder unsichtbar macht, sondern Teilhabe und gutes Arbeiten für möglichst viele Menschen ermöglicht.

Wir danken Sarah für Ihre Zeit und ihre Gedanken zu den wünschenswerten Zukünften! 

Sarahs Leseempfehlungen für alle, die Zukunft gestalten wollen:

  • „Zukunft: Eine Bedienungsanleitung“ von Florence Gaub. Ein umfassendes Einstiegswerk in die Zukünfteforschung und ihre Bedeutsamkeit für unser alltägliches Handeln.

  • „Zurück zur Zukunft“ von Marcel Aberle und Markus Iofcea. Das Fachbuch bietet einen kombinierten Ansatz aus Foresight und Möglichkeitsraumbetrachtung für Organisationen.

  • „Pantopia“ von Theresa Hannig. Ein erfrischender Gegenentwurf zu den vielzähligen techbedingten Dystopie-Szenarien, in dem eine generelle Fin-Tech-KI sich für das Wohl der Menschheit einsetzt.    

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Schaltzeit
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